BERESCHIT

Wochenabschnitt (1): „BERESCHIT“

Kapitel 4                Kain und Abel

4.1         Die Geburt von Kain (4: 1)

א וְהָ֣אָדָ֔ם יָדַ֖ע אֶת־חַוָּ֣ה אִשְׁתּ֑וֹ וַתַּ֨הַר֙ וַתֵּ֣לֶד אֶת־קַ֔יִן וַתֹּ֕אמֶר קָנִ֥יתִי אִ֖ישׁ אֶת־יֽי ׃

(1) Der Mensch aber hatte seine Frau Chawa erkannt. Sie empfing und gebar den Kain; sie sprach nämlich: “Ich habe einen Mann mit dem Herrn erworben.”

(1) Der Mensch aber hatte seine Frau Chawa erkannt. Sie empfing und gebar den Kain In Bezug auf die Geburt scheinen die Wörter „erkannte“ und „schwanger“ überflüssig zu sein, da sie der Bedeutung der Geschichte nichts hinzufügen. Dies bedeutet jedoch nur, dass sie auf einer tieferen Ebene verstanden werden müssen – was auf bestimmte Stadien in der persönlichen Entwicklung von Adam und Eva hinweist. Das heißt, diese Begriffe weisen darauf hin, dass Adam und Eva sich nicht nur durch die Geburt ihres Kindes, sondern auch noch früher, zum Zeitpunkt der sexuellen Kenntnis und Empfängnis, wesentlich verändert und weiterentwickelt haben. Gleiches gilt für den Menschen im Allgemeinen.

(1) …und gebar den Kain; sie sprach nämlich: Ich habe einen Mann mit dem Herrn erworben Das Wort „kaniti“ wird wörtlich übersetzt als „Ich habe erworben“. Der Name Kain ist grammatisch verwandt mit (und in der Tat abgeleitet von) „kaniti“. Kains Essenz ist, dass er eine „Person ist, die erwirbt“. Er sehnt sich danach, „die Welt zu erwerben“ und sie zu transformieren, weshalb er sich, wie wir gleich sehen werden, für die Landwirtschaft entscheidet. Diese Sehnsüchte sollen keineswegs als etwas Negatives verstanden werden, im Gegenteil, dieses Verlangen entspricht voll und ganz dem göttlichen Gebot, „die Erde zu füllen und sich Untertan zu machen“ (1:28). Dieses Konzept hat jedoch auch seine Tücken, mit denen sich Kain anschließend auseinandersetzen muss.

(1) … Ich habe einen Mann mit dem Herrn erworben  Es gibt zwei verwandte, aber unterschiedliche Bedeutungen für Evas Botschaft. Erstens: “Ich habe ein männliches Kind mit der (d. h. durch die) Hilfe des Herrn gewonnen“. Und zweitens: „Ich habe dieses männliche Kind erworben und mit ihm auch den Herrn“. Das heißt, sie hat eine neue Ebene der Gottseligkeit erreicht. Eva bekam nicht nur einen Sohn mit der Geburt von Kain, sondern auch den Status eines Elternteils, das heißt eines Schöpfers.

Gott ist im Grunde sowohl Geber als auch Schöpfer – Er schuf den Menschen und gab ihm Leben. Am Anfang wurde also ein Mensch geschaffen, der die Gabe des Lebens von Gott empfängt und Empfänger ist, aber er selbst erschafft oder gibt sie noch nicht. Diese Kluft, die einen Menschen anfänglich von Gott trennt, ist ein sehr bedeutendes menschliches Problem. Aber wir beheben diese Situation, indem wir Kinder nach unserem eigenen Abbild erschaffen, so wie Gott es tut (1:26, 9:3). Dies gibt uns einen Weg, Gott näher zu kommen, indem wir nicht nur unsere Fähigkeit zu empfangen, sondern auch die des Gebens ausbilden. Und vor allem – um Leben zu schenken.

Ein Kind zu gebären ist natürlich nicht der einzige Weg, ein Schöpfer zu werden. Man kann Gott auch durch andere schöpferische und positive Handlungen näherkommen. Die Geburt eines Kindes ist jedoch eine der effektivsten Möglichkeiten, dies zu erreichen.

Aus dieser Perspektive steht Kain im Mittelpunkt der Welt, da Adam und Eva durch ihn Eltern und Schöpfer wurden und so näher an den Herrn heranrückten. Daher sagt die Tora nicht (wie es normalerweise der Fall ist): „Sie gebar einen Sohn und nannte ihn Kain.“Vielmehr steht geschrieben: „Sie gebar Kain“, das heißt „Erwerb“ – sie gebar ihren eigenen neuen Status.

4.2         Die Geburt Abels (4: 2)

ב וַתֹּ֣סֶף לָלֶ֔דֶת אֶת־אָחִ֖יו אֶת־הָ֑בֶל וַֽיְהִי־הֶ֨בֶל֙ רֹ֣עֵה צֹ֔אן וְקַ֕יִן הָיָ֖ה עֹבֵ֥ד אֲדָמָֽה ׃

(2) „Sie gebar ferner seinen Bruder, den Hebel. Hebel ward ein Schafhirte, Kain aber war ein Ackerbauer.“

(2) Sie gebar ferner seinen Bruder, den Hebel  Die Idee des „Fortgesetzten“ (ausgedrückt durch das Wort “tosef” – „zusätzlich“, „ferner“) unterstreicht, dass diese zweite Geburt nicht unabhängig und damit auf Augenhöhe, sondern in ihrer Relation zur ersten Geburt lediglich als  zweitrangig bewertet wird. Auch in der Tora heißt es hier nicht, wie zuvor in Bezug auf Kain, dass „Adam Eva erkannte und sie empfing“. Diese Details sind für die Geburt von Abel nicht von Bedeutung, da sie kein neues Stadium in der Entwicklung von Adam und Eva darstellen.

seinen Bruder, den Hebel  Wenn es die Essenz von Kain ist, ein Sohn zu sein, um „die Welt zu erwerben“ und dadurch den Status von Adam und Eva zu ändern, indem sie zu Eltern gemacht werden, dann muss die Essenz Abels diejenige eines Bruders sein, der eine Art Ergänzung und Zusatz zu Kains Existenz ist. (Es wäre nicht nötig gewesen das Offensichtliche zu erwähnen, die Tatsache dass Abel Kains Bruder war, es sei denn die Tora wollte diesen besonderen Aspekt besagter Bruderschaft zum Ausdruck bringen.)

Die Geburt von Abel hat keinen Einfluss auf den Status von Adam und Eva, da sie bereits Eltern sind. Aber es verändert Kains Status radikal und schafft eine neue Realität: Er hört auf, ein einziger Sohn zu sein und wird ein Bruder. Abels Aufgabe ist es, Kain zu korrigieren, ihn von seiner zentralen Position zu lösen und so für ihn und für die Welt das Konzept der Brüderlichkeit zu schaffen. So verwandelt sich Kain vom „einzigen Sohn“ in „Sohn und Bruder“, der nun die Existenz des „anderen“ und das Bedürfnis, mit ihm zu teilen, berücksichtigen muss.

Diese „Herabstufung“ ist ein großes Problem für jeden Erstgeborenen, der sich damit auseinandersetzen muss. Wenn ein Bruder oder eine Schwester in einer Situation geboren wird, in der das erste und (bis jetzt) ​​einzige Kind seinen zentralen Platz in der Familie bereits eingenommen hat – wenn es beispielsweise zwischen drei und fünf Jahren alt ist –, kann daraus eine ernste Krise entstehen. Der Erstgeborene, der plötzlich entdeckt, dass jemand anderes seinen Platz beansprucht, erlebt schwere Frustrationen, die Neid und sogar Hass hervorrufen können. Die freudige Aussage der Eltern über das bevorstehende Erscheinen eines Bruders oder einer Schwester in ihrem Haus macht dem ersten Kind etwa so viel Freude, als würde ein Ehemann seiner Frau sagen: „Ich liebe dich so sehr, meine Liebe! Oh, und übrigens, ich werde bald eine zweite Frau heiraten“.

Kain hat diese Prüfung der Brüderlichkeit nicht bestanden. Die gesamte nachfolgende Menschheitsgeschichte trägt diese Konsequenzen als eine schwere Belastung bis zum heutigen Tage weiter. Konflikte zwischen Erstgeborenen und ihren jüngeren Brüdern sind ein häufig wiederkehrendes Thema im gesamten Buch der Genesis und finden ihre Lösung erst im Buch des Exodus, in der Beziehung zwischen Moses und Aaron.

Der Name Abel wird auf Hebräisch „Hewel“ ausgesprochen. Dies ist das Wort, das verwendet wird, um den warmen Dampfstoß zu bezeichnen, der den Mund in der frostigen Winterluft verlässt und dann sofort verschwindet. Das gleiche Wort symbolisiert auch völlige Sinnlosigkeit und Bedeutungslosigkeit, so wie es ist geschrieben in dem berühmten Eröffnungsvers des Buches Kohelet (Ekklesiastes), „Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist Eitelkeit.“ Somit sind die beiden Brüder Antipoden. Wenn Kain Erwerb, Stabilität und Solidität darstellt, dann ist Abel Leichtigkeit, Vergänglichkeit.

All diese Vergänglichkeit bezieht sich jedoch nur auf Abel selbst. In seiner Beziehung zu Kain entsteht etwas völlig anderes. Abel ist der „heiße Dampf“, der kocht, umwandelt und korrigiert.Seine Berufung ist es, Kain zu korrigieren und eine Ziffer („0“) an Kains Einheit („1“) anzuhängen. Kain sollte das Fundament für die Entwicklung der Zivilisation werden, und Abel wurde beauftragt, auf Kains Fehler hinzuweisen, ihn zu korrigieren und zu verbessern.

Die Geburt eines jüngeren Bruders in dieser Rolle ist für jedes erstgeborene Kind eine schreckliche Tortur.

Hebel ward ein Schafhirte, Kain aber war ein Ackerbauer Bei der Vertreibung Adams aus dem Garten Eden wird ihm von nun an gesagt „Im Schweiße deines Angesichts sollst du Brot essen“ (3:19). Kain übernimmt diese Aufgabe – sicherlich eine sehr edle und würdige Tat.

Bei aller Bedeutung der Landwirtschaft besteht jedoch auch die Gefahr, dass sich der Landwirt so sehr in seinen eigenen Landstrich verstrickt, dass er die Welt um sich herum nicht einmal bemerkt. Beachten Sie, dass „owed adama“ („Pflüger des Landes“) hier auch als „ewed adama“, „Sklave des Landes“, gelesen werden kann. (Der Buchstabe „Waw“, der typischerweise den O-Vokal-Ton liefert, fehlt an dieser Stelle.)

Niemand bittet die Erde höflich, ihren Ertrag zu liefern; vielmehr wird dies der Erde befohlen, die es, wie ein Sklave, zu erfüllen hat. Jedoch gilt hier die Binsenweisheit, dass ein Mensch, der Sklaven hält, selbst in einem Paradigma der Sklaverei lebt. Das ganze Leben eines Landwirts, der die Erde bearbeitet, besteht darin, „Befehle“ zu erteilen. Somit birgt der Beruf eines Landwirts für ihn die Gefahr, selbst eine Sklavenmentalität zu erlangen. Hier kommt Abel ins Spiel, der Kain zu genau diesem Zweck gegeben wurde – um Kains Position auszugleichen, ihm aufzuzeigen, dass das Leben noch viele weitere Alternativen bietet.

Hebel ward ein Schafhirte Abel ist der „Dampfmensch“, ein Luftmensch. Er wählt daher einen Beruf, der ihn nicht an einen bestimmten Ort bindet. Die Arbeit eines Hirten erfordert ständige Wanderungen. Er hat die Freiheit, die Welt um sich herum zu beobachten und sie zu analysieren. Er observiert die Natur und den Himmel, ohne von einem Landstück versklavt zu werden.

Schafe können nicht vollständig und körperlich kontrolliert werden. Während ein Hirte seinen Schafen Befehle erteilt, muss er ihnen gleichzeitig auf eine Art zureden, die nötige Verhaltensmuster in ihnen fördet und ausbildet. Abel ist von Natur aus ein Erzieher, der auch Kain erziehen soll. Dies ist die Hauptaufgabe seines Lebens, bei deren Verfolgung er ein katastrophales Versagen erleiden wird.

4.3         Der Konflikt zwischen Bauer und Hirte

Die in der Antike vorherrschende Konfrontation zwischen Bauern und Hirten war nicht nur wirtschaftlicher oder militärischer, sondern auch ideologischer Natur. Diese Konfrontation taucht in vielen Kapiteln der Tora auf – zum Beispiel im Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern (37:5) sowie im Hass der ägyptischen Bauern auf die jüdischen Viehhalter (43:32, 46:34).

Der Bauer und der Hirte haben völlig unterschiedliche Ansichten von der Welt. Nur auf Grundlage der Landwirtschaft, die unvergleichlich höhere Gewinne bringt, werden Zivilisationen aufgebaut – zum Beispiel die großen alten Zivilisationen Ägyptens und Mesopotamiens.

Der Bauer schaut nach unten, versunken in seinem Grundstück. Er ist ein Mann der festgefahrenen Erbschaftsregeln, er wird geboren und stirbt im selben Haus, in dem seine Vorfahren lebten. Seine Familie lebt seit Jahrhunderten in ihrem kleinen Dorf, und das ist alles was sie kennen.

Wie es vor allem in der Antike der Fall war, ist der Landwirt häufig auf die beträchtliche Organisationskraft des Staates angewiesen. Beispielsweise könnte kein einzelnes Dorf, das nur seine eigenen Ressourcen und seinen Einfluss nutzt, selbstständig die Bewässerungskanäle aufbauen, die es benötigt. Die landwirtschaftlichen Zivilisationen der Antike entstanden daher als sich ausdehnende Reiche.

Der Viehzüchter jedoch ist ein Mann der Freiheit und des Raumes, was bedeutet, dass er eine andere Bewusstseinsebene hat. Er ist ärmer als der Bauer, aber nicht auf sein Territorium beschränkt. Er schaut in den Himmel und auf die Welt, die ihn umgibt. Er reist herum, trifft unzählige Arten von Menschen und erfährt eine Vielzahl von Lebensstilen. Auf diese Weise sind seine Horizonte unvergleichlich erweitert. Da Hirten den Bauern geistig überlegen sind, haben die Hirtenvölker, wie die Geschichte zeigt, landwirtschaftliche Gesellschaften erobert und sie als Könige regiert, jedoch nie umgekehrt.

Gleichzeitig zeigt das Fehlen des eigenen Landes auf, dass dem Hirten die Verwurzelung fehlt, dass sich seine Position immer im Wandel befindet. In gewissem Sinne kann eine Gruppe Umherziehender, die kein Land besitzen, niemals eine wirkliche Nation werden.

Die Korrektur und Synthese dieser widersprüchlichen Prioritäten ist in jüdischer Agrikultur und im Land Israel zu finden, das seine Einzigartigkeit und spezielle Funktion folgendermaßen aufweist:

  1. Nach Ansiedlung im Land Israel wurden die Juden zu Bauern. Doch lange zuvor waren die jüdischen Patriarchen Hirten. Die Grundlage jüdischer religiöser Einstellungen in diesem Zusammenhang “überlebt” gewissermaßen im kirchlichen Wort „Pastor“. Ein Pastor ist ein Hirte, der seine Herde führt. Dies drückt eindeutig eine pastorale und keine landwirtschaftliche Haltung gegenüber der Welt aus.
  2. Die Bewässerung im Land Israel basiert nicht auf einem System zur Umleitung von Wasser von einem Fluss, der bereits entlang des Bodens fließt, sondern auf Regen. Die Tora (5. Mose 11:11) betont sehr deutlich diese Unterscheidung zwischen dem Land Israel und Ägypten, wo Wasser zur Bewässerung aus dem Nil entnommen wird. Ein Bauer im Land Israel schaut in den Himmel und fragt: „Wird es regnen?“ Er ist daher weder von der Erde versklavt noch darauf fixiert.
  3. Die Priester und Leviten, die den Gottesdienst im Tempel verrichteten, hatten kein eigenes Land. Dies bedeutet, dass es immer eine prominente Schicht der jüdischen Nation gab, die nicht an die Landwirtschaft gebunden war und die immer „den Himmel anstarrte“ und dem jüdischen Volk eine bestimmte Qualität der „Luftigkeit“ verlieh.

In der Geschichte der Tora über Kain und Abel steht die problematische Natur der Verwurzelung in Landwirtschaft im Mittelpunkt des Konflikts. Abel stand vor der Aufgabe, Kain auf eine neue Ebene des Bewusstseins zu heben, indem er ihm beibrachte, nach oben und nicht nur nach unten zu schauen.

Die Beziehung eines Menschen zu seinem Land sollte nicht eine des Eigentums sein (obwohl das Wesen von „Kain dem Erwerber“ genau diese Natur widerspiegelt), sondern vielmehr eine Beziehung der Zusammenarbeit zwischen dem Menschen als „Pächter“ und Gott. Wer ist der wahre Besitzer des Landes? Abels Aufgabe ist es, Menschen davor zu bewahren, im Materialismus verknöchert werden, indem sie ihrem Leben ein Element der Veränderlichkeit und Bewegung verleihen und so die Kommunikation nicht nur mit der Erde, sondern auch mit dem Himmel fördern.

Da Kain und Abel dieses Problem nicht erfolgreich bewältigen konnten, wurde der gesamten Menschheit die Verantwortung übergeben, eine Lösung zu suchen und zu finden. Dieser Prozess dauert bis heute an.

4.4         Kain und Abel bringen ihre Opfergaben (4: 3-5)

ג וַֽיְהִ֖י מִקֵּ֣ץ יָמִ֑ים וַיָּבֵ֨א קַ֜יִן מִפְּרִ֧י הָֽאֲדָמָ֛ה מִנְחָ֖ה לַֽיהוָֽה ׃ד וְהֶ֨בֶל הֵבִ֥יא גַם־ה֛וּא מִבְּכֹר֥וֹת צֹאנ֖וֹ וּמֵֽחֶלְבֵהֶ֑ן וַיִּ֣שַׁע י֔י אֶל־הֶ֖בֶל וְאֶל־מִנְחָתֽוֹ ׃ה וְאֶל־קַ֥יִן וְאֶל־מִנְחָת֖וֹ לֹ֣א שָׁעָ֑ה …

(3) Es war nach Ablauf der Tage, da brachte Kain von der Frucht der Erde dem Herrn ein Opfer.

(4) Und auch Hebel brachte gleichfalls von den Erstgeborenen seiner Schafe und von deren besten. Da wandte sich der Herr zu Hebel und seinem Opfer,

(5) aber zu Kain und seinem Opfer wandte er sich nicht …

(3) Es war nach Ablauf der Tage  Wörtlich: „Es geschah am Ende [einer bestimmten Anzahl von] Tagen“. Dies deutet auf das Ende einer genau definierten Periode im Lebenszyklus hin. Die Menschheit (personifiziert durch Kain und Abel), die ihre anfängliche Phase der bloßen körperlichen Entwicklung durchlaufen hat, denkt jetzt über die geistigen Fundamente ihrer Existenz nach.

In der Regel bezieht sich der Ausdruck „am Ende der Tage“ in Tora und Tanach auf den Beginn der messianischen Ära (siehe Raschi, Gen. 49: 1). Hier bedeutet es jedoch das Ende des landwirtschaftlichen Zyklus – die Erntezeit. Doch für Kain steht diese Zeit tatsächlich im Einklang mit dem Konzept der messianischen Ära, da sie durch den Erfolg in der wichtigsten Tätigkeit seines Lebens gekennzeichnet ist – dem Besitz und der Entwicklung der Erde.

Kain brachte dem Herrn ein Opfer durch Frucht des Bodens: Erst nachdem sein Leben ordnungsgemäß organisiert worden war, brachte Kain dem Allmächtigen ein Geschenk. Er brachte nicht die ersten, sondern die letzten Früchte, den Rest.

Kains Handeln an sich ist sehr bedeutsam und absolut positiv. Ein Opfer für Gott ist schließlich die Grundlage für die korrekte Positionierung des menschlichen Lebens auf der Erde. Andererseits bringt Kains Angebot einen Fehler mit sich, der korrigiert werden muss. Man sollte Gott nicht von Überresten, sondern von den ersten Früchten ein Opfer bringen, um anzuerkennen, dass die Fähigkeit selbst, neues Leben zu erschaffen, ein Geschenk des Allmächtigen ist, dass die Ernte überhaupt nur dank Ihm gewachsen ist.

Nach jüdischer Tradition wird das, was am Ende der Ernte übrig bleibt, zu einem Geschenk – aber an die Armen, damit auch diese einen Teil des erworbenen landwirtschaftlichen Wohlstandes genießen können.

Kain glaubt, dass man gütig sein und mit allen teilen sollte – auch mit Gott – und stellt so Gott auf die gleiche Stufe mit den Armen. Aufgrund dieses fundamentalen Fehlers kann sein Geschenk nicht angenommen werden.

(4) Und auch Hebel brachte gleichfalls … Die wörtliche Übersetzung lautet: „Und Abel – er brachte auch …“ Abel brachte sein Geschenk nur als Ergänzung zum dem des Kain. Bevor Kain sein Geschenk brachte – das heißt, bis die Menschheit die Notwendigkeit erkannte, sich mit dem Allmächtigen in Verbindung zu setzen -, war es unmöglich, mit der Korrektur zu beginnen, diese Verbindung zu verbessern und die Details zu korrigieren.

(4) Und auch Hebel brachte gleichfalls von den Erstgeborenen seiner Schafe und von deren besten … Anhand seines Beispiels lehrte Abel Kain die beiden Voraussetzungen, um dem Allmächtigen ein Geschenk zu machen: Das Geschenk muss aus den ersten Früchten stammen und es müssen “die Erlesensten” dieser sein.

Als erstgeborenes Kind wurzelt Kains Attitüde vor Gott als „bedürftig“ in seinen egozentrischen Ideen, in denen der Rest der Welt als Peripherie angesehen wird.

Abel hingegen ist grundsätzlich ein „Bruder“. Das heißt, in seiner Wahrnehmung der Welt gibt es immer von Anfang an jemanden, der Vorrang vor ihm selbst hat. Daher ist es für Abel selbstverständlich, Gott vor sich selbst zu stellen.

(4) Da wandte sich der Herr zu Hebel und seinem Opfer, Gott bestätigte die Richtigkeit von Abels Ansatz und billigte nicht nur das Opfer selbst, sondern auch seine Motive.

(5) aber zu Kain und seinem Opfer wandte er sich nicht  Gott sagte Kain, er müsse an sich arbeiten und von Abel lernen. Kain hatte jedoch Schwierigkeiten, von seinem jüngeren Bruder zu lernen. Es wäre falsch, Abel als „gut“ und Kain als „schlecht“ zu bezeichnen. Kain ist der Protagonist der beiden Darsteller in diesem Drama, denn nur seine Linie wird in der Menschheit fortgesetzt. Abel ist keine autarke Figur, da von ihm in Zukunft nichts bleiben wird – er hat keine Erben. Abel kann die Menschheit nicht alleine aufbauen, aber er hat das Potenzial, Kain zu korrigieren.

4.5         „Werde besser und dir wird vergeben (4: 5-7)

ה …וַיִּ֤חַר לְקַ֨יִן֙ מְאֹ֔ד וַֽיִּפְּל֖וּ פָּנָֽיו ׃ ו וַיֹּ֥אמֶר י֖י אֶל־קָ֑יִן לָ֚מָּה חָ֣רָה לָ֔ךְ וְלָ֖מָּה נָֽפְל֥וּ פָנֶֽיךָ ׃ ז הֲל֤וֹא אִם־תֵּיטִיב֙ שְׂאֵ֔ת וְאִם֙ לֹ֣א תֵיטִ֔יב לַפֶּ֖תַח חַטָּ֣את רֹבֵ֑ץ וְאֵלֶ֨יךָ֙ תְּשׁ֣וּקָת֔וֹ וְאַתָּ֖ה תִּמְשָׁל־בּֽוֹ ׃

(5) … dies verdross Kain sehr, und es senkte sich sein Angesicht.

(6) Da sprach der Herr zu Kain: “Warum verdrießt es dich, und warum ist dein Angesicht gesenkt?”

(7) Siehe, wenn du es zu Gutem machst, wirst du Aufstieg erfahren. Doch wenn du es nicht zu Gutem machst, lauert Sünde vor der Tür; sie strebt nach dir, doch kannst du sie beherrschen.

(5) … dies verdross Kain sehr, und es senkte sich sein Angesicht. Anstatt über die Ursachen des Vorfalls und Möglichkeiten zur Behebung der Situation nachzudenken, ist Kain von Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit überwältigt.

Das Los eines Menschen im Leben wird in hohem Maße davon bestimmt, eine konstruktive Haltung gegenüber seinen Fehlern beizubehalten, sie zu verstehen und zu korrigieren, ohne andere zu beschuldigen, und nicht in Verzweiflung zu geraten.

(6) Da sprach der Herr zu Kain: Warum verdrießt es dich, und warum ist dein Angesicht gesenkt?

(7) Siehe, wenn du es zu Gutem machst, wirst du Aufstieg erfahren. Doch wenn du es nicht zu Gutem machst, lauert Sünde vor der Tür; sie strebt nach dir, doch kannst du sie beherrschenGott sagt Kain, dass seine Reaktion falsch ist. Wenn er sich verbessert, wird ihm vergeben. Aber selbst, wenn er dazu nicht imstande ist, kann er die Sünde beherrschen, anstatt sich ihr hinzugeben. Die Welt ist nicht deterministisch; Fehler schließen nicht den Weg zu ihrer Korrektur. Gott möchte, dass Kain Vertrauen in seine Stärken und Fähigkeiten gewinnt. Wenn er sich verbessert, kann er Abel übertreffen und sogar eine höhere Stufe als dieser erreichen.

4.6         Der Mord an Abel (4: 8)

ח וַיֹּ֥אמֶר קַ֖יִן אֶל־הֶ֣בֶל אָחִ֑יו וַֽיְהִי֙ בִּֽהְיוֹתָ֣ם בַּשָּׂדֶ֔ה וַיָּ֥קָם קַ֛יִן אֶל־הֶ֥בֶל אָחִ֖יו וַיַּֽהַרְגֵֽהוּ ׃

(8) Kain sagte dies seinem Bruder Hebel. Es war aber, während sie im Felde waren, da überfiel Kain seinen Bruder Hebel und erschlug ihn.

(8) Kain sagte dies seinem Bruder Hebel  Kain macht einen entscheidenden Schritt in Richtung Korrektur. Er wendet sich an Abel und bietet an, mit ihm in einen Dialog zu treten. Er überwindet seine Ressentiments und versucht, eine konstruktive Kommunikation mit Abel herzustellen. Er will sich verbessern. Gott hat Kain gesagt, dass er sich ändern muss, und Kain versucht tatsächlich, sich zu ändern! Darüber hinaus wendet sich Kain als ein Bruder an Abel und erkennt den Status der Bruderschaft an, den Abel ihm allein durch den Akt seiner Geburt auferlegt hatte und damt selbst die Ursache für viele von Kains Problemen war. Für Kain ist das ein ernsthafter spiritueller Fortschritt.

(8) Kain sagte dies seinem Bruder Hebel… Hier, mitten in einem Vers, bricht die Geschichte ab. Die Kantillationssymbole weisen auf eine abrupte Unterbrechung hin, die am besten durch Auslassungspunkte oder manchmal durch eine Reihe von Strichen ausgedrückt wird. Die Tora lehnt es ab, zu enthüllen, weder was Kain tatsächlich gesagt hat, noch Abels Antwort.

Der Midrasch ergänzt die Erzählung der Tora durch verschiedene Versionen ihres Dialogs (Streit um Eigentum oder den Tempel oder eine Frau). Wie dem auch sei, eine solch auffällige Auslassung des Inhalts von Kains Rede im Tora-Text selbst muss darauf hindeuten, dass die Worte, die gesprochen wurden, nicht wichtig sind. Wichtig ist, dass Kain Abel anspricht und bereit ist, durch Brüderlichkeit eine Brücke zu schlagen – zu verstehen und zu lernen.

Abel antwortet nicht auf Kain, weil er in ihm keinen Menschen sieht, mit dem man in Dialog treten kann, sondern jemanden, den es zu beeinflussen und zu erziehen gilt. Abel glaubt arroganterweise, dass es ausreicht, Kain sein eigenes Beispiel für ein angemessenes und erfolgreiches Opfer zu demonstrieren. Er hat weder vor, sich auf die Ebene des „Small Talks“ herabzusetzen, noch versucht er, seinen Bruder zu verstehen, der seine Probleme mit Abel besprechen will. Also tötet Kain Abel. Wenn man als Lehrer berufen ist und sich als Hirten und Führer betrachtet, jedoch keine Gemeinschaft bildet und in seinem Mitmenschen eine reale Person sieht, dann ist man ein unwürdiger Hirte.

(8) Es war aber, während sie im Felde waren  Das Feld ist die Sphäre des Schaffens, an dem sich sowohl Kain als auch Abel verwirklichen müssen. Es ist allein Abels Versäumnis, sein pädagogisches Potenzial zu realisieren, was zu einer Tragödie führt. Abel, dessen Berufung es ist, Lehrer zu sein, lehnt es ab, Verantwortung für diese Rolle zu übernehmen. Daher stirbt er.

“Kain setzte auf seinen Bruder Abel”: Die Betonung hier auf „seinen Bruder“ zeigt, dass Abel gegen die ganze Idee der Brüderlichkeit rebelliert. Kain kann die Demütigung nicht ertragen, als bloßer Gegenstand der Erziehung betrachtet zu werden, was der Perspektive entspricht, die Abel auf Kain hat. Dies ist der Grund, warum Abel nicht mit ihm in einen Dialog treten wird. Und so rebelliert Kain und zerstört eben diese Bruderschaft mit Abel, die er bereits anerkannt hatte.

(8) da überfiel Kain seinen Bruder Hebel und erschlug ihn Die endgültige Unterbrechung ihrer brüderlichen Beziehungen drückt sich durch Mord aus. Natürlich kann keine der oben genannten Rationalisierungen Kains Handlungen rechtfertigen. Er gilt als Straftäter, den eine seiner Taten entsprechende Bestrafung ereilen wird. Aber auch Kains Verbrechen befreit Abel nicht von seiner Schuld. Als Abel sich entschlossen hat, Lehrer zu werden, hat er es auf sich genommen, für die erfolglosen Ergebnisse seiner Lehrmission verantwortlich zu sein.

4.7         Kain wird beschuldigt (4: 9-12)

ט וַיֹּ֤אמֶר יי֙ אֶל־קַ֔יִן אֵ֖י הֶ֣בֶל אָחִ֑יךָ וַיֹּ֨אמֶר֙ לֹ֣א יָדַ֔עְתִּי הֲשֹׁמֵ֥ר אָחִ֖י אָנֹֽכִי ׃ י וַיֹּ֖אמֶר מֶ֣ה עָשִׂ֑יתָ ק֚וֹל דְּמֵ֣י אָחִ֔יךָ צֹֽעֲקִ֥ים אֵלַ֖י מִן־הָֽאֲדָמָֽה ׃ יאוְעַתָּ֖ה אָר֣וּר אָ֑תָּה מִן־הָֽאֲדָמָה֙ אֲשֶׁ֣ר פָּֽצְתָ֣ה אֶת־פִּ֔יהָ לָקַ֛חַת אֶת־דְּמֵ֥י אָחִ֖יךָ מִיָּדֶֽךָ ׃ יב כִּ֤י תַֽעֲבֹד֙ אֶת־הָ֣אֲדָמָ֔ה לֹֽא־תֹסֵ֥ף תֵּת־כֹּחָ֖הּ לָ֑ךְ נָ֥ע וָנָ֖ד תִּֽהְיֶ֥ה בָאָֽרֶץ ׃

(9) Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Hebel? Er erwiderte: Ich weiß nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?

(10) Er aber sprach: Was hast du getan! Hörst du die Stimmen? Es ist das Blut deines Bruders, das hinaufschreit zu mir aus dem Erdboden.

(11) Und nun, du sollst verflucht sein, mehr als der Erdboden, der seinen Mund öffnete, um das Blut deines Bruders aus deiner Hand zu empfangen.

(12) Wenn du den Erdboden bearbeitest, so soll er dir seine Kraft nicht mehr geben; ohne Rast wirst du auf der Erde umherwandern.

(9) Da sprach der Herr zu Kain: “Wo ist dein Bruder Hebel? “ Genauer gesagt: „Was ist deinem Bruder Abel zugestoßen?“ Diese Frage ist das eindeutige Echo von Gottes Frage an Adam (3: 9): „Wo bist du?“ Aber während Gott von Adam verlangt, nur für sich selbst zu antworten, wird Kain hier gebeten, auch für seinen Bruder zu antworten. Zu Beginn ist der Mensch nur für sich selbst verantwortlich, doch wenn er mit der Zeit erwachsen wird, muss er zusätzlich die Verantwortung für seine Mitmenschen übernehmen.

(9) Er erwiderte: “Ich weiß nicht”  Kain versucht niemals, Gott zu täuschen oder den Mord zu vertuschen. Seine Antwort wäre besser übersetzt mit „Ich will es nicht wissen“, das heißt, ich will weder Abel noch seine Bruderschaft kennen. Kains „Ich weiß es nicht“ untermauert die Verbindung dieser Geschichte mit der Sünde von Adam und Eva, die von der Frucht des Baumes der Erkenntnis gegessen haben, aber während Adam im Garten Eden es zumindest wissen will (obwohl er sich diesem Wunsch auf eine sehr unangemessenene Weise nähert), weigert sich Kain tatsächlich, es wissen zu wollen. Das Versagen eines Lehrers hält den Schüler davon ab, überhaupt am Lernprozess teilnehmen zu wollen.

(9) bin ich der Hüter meines Bruders?  Kains Antwort „Ich weiß nicht“ hätte ausgereicht, um Gottes Frage zu beantworten. Mit dem Zusatz „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ (er geht auf eine Frage ein, die Gott nicht einmal gestellt hat). Er zeigt, dass es die Bruderschaft ist, die für ihn von entscheidender Bedeutung ist. „Ich wandte mich an Abel als meinen Bruder, aber er hatte kein Interesse daran, mir zu antworten. Ich sehe keinen Grund, etwas zu bewahren, das Abel selbst abgelehnt hat.“

(10)”Was hast du getan! Hörst du die Stimmen? Es ist das Blut deines Bruders, das hinaufschreit zu mir aus dem Erdboden.”

(11) “Und nun, du sollst verflucht sein, mehr als der Erdboden, der seinen Mund öffnete, um das Blut deines Bruders aus deiner Hand zu empfangen.” Als er sich entschied, Bauer zu werden, übernahm Kain die Verantwortung für das Land, jedoch wollte er keine Verantwortung für seinen Bruder Abel übernehmen. Daher wird alles, was Abel in seinem Leben widerfahren ist, jetzt von der Erde aufgenommen.

(12) Wenn du den Erdboden bearbeitest, wird er dir seine Kraft nicht mehr geben  Es ist dir nicht mehr möglich, sich in der Landwirtschaft zu betätigen. Du musst dir einen anderen Beruf suchen.

(12) ohne Rast wirst du auf der Erde umherwandern  Nachdem Kain Abel getötet hat, muss er nun wandern und quasi die Schuhe seines toten Bruders tragen, sich dabei allmählich an sie anpassen, um das Regulativ/Gegengewicht in sich selbst wiederherzustellen, dessen er sich durch sein Fehlverhalten beraubte.

4.8         Das Mal von Kain (4: 13-15)

יג וַיֹּ֥אמֶר קַ֖יִן אֶל־י֑י גָּד֥וֹל עֲוֺנִ֖י מִנְּשֹֽׂא ׃ יד הֵן֩ גֵּרַ֨שְׁתָּ אֹתִ֜י הַיּ֗וֹם מֵעַל֙ פְּנֵ֣י הָֽאֲדָמָ֔ה וּמִפָּנֶ֖יךָ אֶסָּתֵ֑ר וְהָיִ֜יתִי נָ֤ע וָנָד֙ בָּאָ֔רֶץ וְהָיָ֥ה כָל־מֹֽצְאִ֖י יַֽהַרְגֵֽנִי׃טו וַיֹּ֧אמֶר ל֣וֹ י֗י לָכֵן֙ כָּל־הֹרֵ֣ג קַ֔יִן שִׁבְעָתַ֖יִם יֻקָּ֑ם וַיָּ֨שֶׂם י֤י לְקַ֨יִן֙ א֔וֹת לְבִלְתִּ֥י הַכּוֹת־אֹת֖וֹ כָּל־מֹֽצְאֽוֹ ׃

(13) Da sprach Kain zum Herrn: Zu groß ist meine Sünde, als dass ich sie ertragen könnte!

(14) Siehe, du hast mich heute vom Erdboden vertrieben, und auch vor deinem Angesichte soll ich verborgen sein, soll unstet und flüchtig auf der Erde sein, und es wird  jeder, der mich trifft, mich erschlagen!

(15) Da sprach der Herr zu ihm: So soll an dem, der Kain tötet, siebenfach Rache genommen werden! So machte Gott dem Kain ein Wahrzeichen, dass keiner, der ihn treffe, ihn erschlage.

(13) Da sprach Kain zum Herrn: “Zu groß ist meine Sünde, als dass ich sie ertragen könnte!“ Da Kain im Weiteren nicht konkret bedauert, was er getan hat, sondern sich nur über die Schwere der Bestrafung beklagt, sollten die Worte „meine Sünde ist zu groß“ eher im Sinne von „die Sünde, derer Du mich bezichtigst, ist zu groß“ verstanden werden. Wir sehen von Kain also noch keine Reue. Er scheint nicht im Geringsten davon betroffen, Abel ermordet zu haben, und gibt auch kein Fehlverhalten zu. Er beschwert sich nur über die Schwere der Bestrafung. „Ich wurde wegen exorbitanter Schuld (=Bestrafung) angeklagt, die mehr ist, als ich ertragen kann.“

(14) Siehe, du hast mich heute vom Erdboden vertrieben … und es wird jeder, der mich trifft, mich erschlagen! Kains Orientierung richtet sich nach Land und Eigentum. In seiner Wahrnehmung ist ein Mensch, der kein eigenes Land besitzt, unbedeutend – er ist ein niemand und hat kein Existenzrecht. Daher sieht Kain das Exil als eine Strafe an, die so drakonisch ist, dass er sie nicht ertragen kann.

Kain glaubt, dass ein Vagabund für den Allmächtigen keine Bedeutung hat und in Gottes Gegenwart unsichtbar ist. So befindet sich, nach seiner eigenen Beurteilung, der Wanderer außerhalb des Gesetzes, und jeder kann ihn ungestraft töten. Kains Haltung gegenüber Abel basiert auf der gleichen irrigen Auffassung von der „Wertlosigkeit des Wanderers“. Aber jetzt, da er das Schicksal eines Wanderers erlebt, muss er seine Sichtweise anpassen.

(15) „…So machte Gott dem Kain ein Wahrzeichen, dass keiner, der ihn treffe, ihn erschlage.

Das „Mal Kains“ ist keineswegs das Mal eines Bösewichts, sondern lediglich das Mal des Schutzes. Im Gegenteil: Gott erkennt Kains Klage als begründet an und gibt ihm ein unterscheidendes, schützendes Symbol.

Das Wort, das hier für das Zeichen verwendet wird, das Gott Kain gegeben hat, ist „ot“, was gewöhnlich als „Zeichen“ übersetzt wird. Jede Stelle in der Tora, in der das Wort „ot“ verwendet wird, deutet nicht nur auf ein gewöhnliches Zeichen, sondern auf einen Indikator göttlicher Gegenwart hin. Und auch im gegenwärtigen Kontext gibt Gott Kain klare Signale dafür, dass er eine Mission hat, und es ist daher verboten, ihn zu töten. Dieses Zeichen gibt Kain (sowie seiner Familie und anderen Menschen, die ihm am nächsten stehen) die Möglichkeit, zu verstehen, dass ein Wanderer, der kein eigenes Land besitzt, nicht mit einem “Nicht-Mensch” gleichgesetzt werden kann. Im Gegenteil, eine solche Person kann Träger einer sehr entscheidenden Mission sein. Das Zeichen, das Kain von Gott erhält, ist somit Teil seiner Umerziehung.

Insgesamt war diese Umerziehung Kains recht erfolgreich. Ein wichtiger Teil seines Erbes ist in der Menschheit erhalten geblieben. Noachs Frau war ein Nachkomme von Kain, was bedeutet, dass die drei Söhne Noachs – und damit die gesamte Menschheit – ein Stück Kain in sich tragen.

Kapitel 5                Von Adam zu Noach

5.1         Kains Nachkommen (4: 16-24)

טז וַיֵּ֥צֵא קַ֖יִן מִלִּפְנֵ֣י י֑י וַיֵּ֥שֶׁב בְּאֶֽרֶץ־נ֖וֹד קִדְמַת־עֵֽדֶן ׃ יז וַיֵּ֤דַע קַ֨יִן֙ אֶת־אִשְׁתּ֔וֹ וַתַּ֖הַר וַתֵּ֣לֶד אֶת־חֲנ֑וֹךְ וַֽיְהִי֙ בֹּ֣נֶה עִ֔יר וַיִּקְרָא֙ שֵׁ֣ם הָעִ֔יר כְּשֵׁ֖ם בְּנ֥וֹ חֲנֽוֹךְ ׃ יח וַיִּוָּלֵ֤ד לַֽחֲנוֹךְ֙ אֶת־עִירָ֔ד וְעִירָ֕ד יָלַ֖ד אֶת־מְחֽוּיָאֵ֑ל וּמְחִיָּיאֵ֗ל יָלַד֙ אֶת־מְת֣וּשָׁאֵ֔ל וּמְתֽוּשָׁאֵ֖ל יָלַ֥ד אֶת־לָֽמֶךְ ׃ יט וַיִּֽקַּֽח־ל֥וֹ לֶ֖מֶךְ שְׁתֵּ֣י נָשִׁ֑ים שֵׁ֤ם הָֽאַחַת֙ עָדָ֔ה וְשֵׁ֥ם הַשֵּׁנִ֖ית צִלָּֽה ׃ כ וַתֵּ֥לֶד עָדָ֖ה אֶת־יָבָ֑ל ה֣וּא הָיָ֔ה אֲבִ֕י יֹשֵׁ֥ב אֹ֖הֶל וּמִקְנֶֽה ׃ כא וְשֵׁ֥ם אָחִ֖יו יוּבָ֑ל ה֣וּא הָיָ֔ה אֲבִ֕י כָּל־תֹּפֵ֥שׂ כִּנּ֖וֹר וְעוּגָֽב ׃ כב וְצִלָּ֣ה גַם־הִ֗וא יָֽלְדָה֙ אֶת־תּ֣וּבַל קַ֔יִן לֹטֵ֕שׁ כָּל־חֹרֵ֥שׁ נְחֹ֖שֶׁת וּבַרְזֶ֑ל וַֽאֲח֥וֹת תּֽוּבַל־קַ֖יִן נַֽעֲמָֽה ׃ כג וַיֹּ֨אמֶר לֶ֜מֶךְ לְנָשָׁ֗יו עָדָ֤ה וְצִלָּה֙ שְׁמַ֣עַן קוֹלִ֔י נְשֵׁ֣י לֶ֔מֶךְ הַאְזֵ֖נָּה אִמְרָתִ֑י כִּ֣י אִ֤ישׁ הָרַ֨גְתִּי֙ לְפִצְעִ֔י וְיֶ֖לֶד לְחַבֻּֽרָתִֽי ׃ כד כִּ֥י שִׁבְעָתַ֖יִם יֻקַּם־קָ֑יִן וְלֶ֖מֶךְ שִׁבְעִ֥ים וְשִׁבְעָֽה ׃

(16) Da ging Kain fort aus dem Angesichte Herrn, und ließ sich im Lande Nod nieder, ostwärts von Eden.

(17) Da erkannte Kain seine Frau, sie empfing und gebar Chanoch. Er gründete eine Stadt und benannte die Stadt nach dem Namen seines Sohnes Chanoch.

(18) Dem Chanoch wurde Irad geboren, Irad erzeugte Mechujael, Mechijael Methuschael, Methuschael erzeugte Lemech.

(19) Lemech nahm sich zwei Frauen; die eine hieß Ada, die andere Zilla.

(20) Ada gebar Jabal; dieser war der Vorfahre jener, die in Zelten und inmitten von Herden leben.

(21) Seines Bruders Name war Jubal; dieser war der erste aller Harfen- und Flötenspieler.

(22) Auch Zila gebar Thubal-Kain, der fertigte alles, was Kupfer und Eisen schneidet. Thubal-Kains Schwester aber war Naama.

(23) Da sprach Lemech zu seinen Frauen: Ada und Zilla, höret meine Stimme, Frauen Lemechs, vernehmet meine Rede; denn einen Mann habe ich getötet der mich verwundet und einen Knaben der mich hat vernarbt.

(24) Wenn Kain siebenfach gerächt wird, so Lemech siebenundsiebenzigfach!

(16) Da ging Kain fort aus dem Angesichte des Herrn  Er nimmt die göttliche Strafe auf sich und führt das Schicksal des Wanderers Abel fort, des Bruders, den er getötet hatte.

(16) und ließ sich im Lande Nod nieder  Wörtlich „das Land des Wanderns“, in dem es unmöglich ist, durch die Erde verwurzelt zu sein. Kain setzt daher das Erbauen der Stadt fort auf, jedoch bebaut er das Land nicht.

(16) ostwärts von Eden Trotz seines Exils verliert Kain nicht seine Verbindung zum Garten Eden, dem Ideal der menschlichen Existenz in dieser Welt.

(17) Da erkannte Kain seine Frau, sie empfing und gebar Chanoch  „Wissen“ und die Empfängnis, also nicht nur die Geburt allein, werden hier erwähnt, da Kain und seine Familie nun zu einem neuen Stadium übergegangen sind, in dem sie das Leben verstehen.

(17) und gebar Chanoch  Auf Hebräisch stammt „Chanoch“ von „Chinuch“, was „Bildung“ oder „Erneuerung“ bedeutet. Obwohl der erste Bildungsprozess unter der Leitung von Abel erfolglos verlief und zum Mord führte, lernt Kain, anderen Leben zu schenken, indem er Vater wird. Diese Erfahrung ist Teil des Korrekturprozesses von Kain. Er isoliert in sich selbst einige von Abels Eigenschaften und erkennt nun, wie wichtig Bildung ist.

(17) Er  gründete eine Stadt und benannte die Stadt nach dem Namen seines Sohnes Chanoch. Nachdem für Kain die Möglichkeit der Landwirtschaft verwirkt ist, schafft er eine Stadt – eine völlig neue Form der sozialen Organisation -, in der Innovation und nicht Land die zentrale Realität darstellt. Dies entspricht auch der Bedeutung des Begriffs „Chinuch“.

(18) Dem Chanoch wurde … geboren …Irad…Mechujael…Methuschael… Lemech.

(20) Ada gebar Jabal; dieser war der Vorfahre derer, die in Zelten und inmitten von Herden leben.

(21) Jubal; dieser war der erste aller Harfen- und Flötenspieler.

(22) Thubal-Kain, der fertigte alles, was Kupfer und Eisen schneidet.

Nach mehreren Generationen des Stadtlebens beginnt die explosive Entwicklung der Zivilisation der Nachkommen Kains – in den Bereichen Technologie, Wirtschaft, Militär und Kultur.

(20) Jabal; dieser war der Vorfahre derer, die in Zelten und inmitten von Herden leben.

(21) Jubal; dieser war der Vorfahre aller Harfen- und Flötenspieler.

Wir sehen, dass Kains Nachkommen Namen tragen, die Abels phonetisch ähnlich sind, und dass sie auch die für Abel charakteristischen Hirtenberufe annehmen. Dies zeigt, dass die Zivilisation der Nachkommen Kains in einigen der Ideen Abels verwurzelt war.

Die Tora spricht hier nicht nur von einfachen Hirten, sondern von „den Vorfahren derer, die in Zelten und inmitten von Herden leben“. Dies deutet auf eine industrielle Organisation des Viehbestands hin. Ebenso spricht die Tora hier nicht nur von einfachen Musikern, sondern von „dem Vorfahren aller Harfen- und Flötenspieler“. Mit anderen Worten, hier geht es um die Musikindustrie. Gleichzeitig wird aber nichts über die Bewirtschaftung des Landes gesagt. Dies ist eine rein städtische Zivilisation, reich und technologisch fortgeschritten, in der sich gewisse Merkmale des ermordeten Abel herausbilden.

(22) Thubal-Kains Schwester aber war Naama. Wörtlich „angenehm“. Es ist ein sehr positiver Name, der die aussichtsreichsten Aspekte der Zivilisation der Nachkommen Kains hervorhebt. Der Midrasch betrachtet sie als Frau Noachs, was bedeutet, dass sich die Menschheit weiter reproduzieren und entwickeln wird, indem sie die Nachkommen von Schet und die Nachkommen von Kain (durch Noach bzw. seine Frau) synthetisiert. Dies signalisiert uns, dass Kain die Wiedergutmachung und den Verbesserungsprozess in seinen Nachfahren sieht.

(19) Lemech nahm sich zwei Frauen  Die Tatsache, dass die Tora dies sogar erwähnt, zeigt uns, dass Lemech in dieser Hinsicht ungewöhnlich war. Seit Adam und Eva war die monogame Ehe die anerkannte, vorherrschende Praxis.

(23) Da sprach Lemech zu seinen Frauen: “Ada und Zilla, höret meine Stimme, Frauen Lemechs, vernehmet meine Rede; denn einen Mann habe ich getötet der mich verwundet und einen Knaben der mich hat vernarbt.”

(24) Wenn Kain siebenfach gerächt wird, so Lemech siebenundsiebenzigfach!

Die Bedeutung dieses „Liedes von Lemech“ ist unklar. Der Midrasch glaubt, dass Lemech sich hier der Morde rühmt, die von seinem Vorfahren Kain und Lemechs Sohn Tubal-Kain begangen wurden. Die Zivilisation der Nachkommen Kains hat, obwohl sie materiell blüht, auch eine erkennbare spirituelle Krise.

5.2         Die Geburt von Schet (4: 25-26)

כהוַיֵּ֨דַעאָדָ֥ם עוֹד֙ אֶת־אִשְׁתּ֔וֹ וַתֵּ֣לֶד בֵּ֔ן וַתִּקְרָ֥א אֶת־שְׁמ֖וֹ שֵׁ֑ת כִּ֣י שָֽׁת־לִ֤י אֱלֹהִים֙ זֶ֣רַעאַחֵ֔ר תַּ֣חַת הֶ֔בֶל כִּ֥י הֲרָג֖וֹ קָֽיִן ׃ כווּלְשֵׁ֤ת גַּם־הוּא֙ יֻלַּד־בֵּ֔ן וַיִּקְרָ֥א אֶת־שְׁמ֖וֹ אֱנ֑וֹשׁ אָ֣ז הוּחַ֔ל לִקְרֹ֖א בְּשֵׁ֥ם יֽי ׃

(25) Adam aber erkannte wieder seine Frau, sie gebar einen Sohn und nannte ihn Schet; denn Gott hat mir einen anderen Samen gesetzt an Hebels statt; denn ihn hatte Kain erschlagen.

(26) Und dem Schet war auch ein Sohn geboren; er nannte ihn Enosch. Zu dieser Zeit fing man an den Allmächtigen mit seinem Namen anzurufen.

(25) Adam aber erkannte wieder seine Frau  Die Geburt eines neuen Sohnes, Schet, erfordert, dass Adam seine Frau Eva auf einer neuen Ebene kennenlernt.

(25) und nannte ihn Schet  Wörtlich „Stabilität“.

(25) anderen Samen gesetzt an Hebels statt; denn ihn hatte Kain erschlagen  Schet muss Abels Funktion eines Gegengewichts zu Kain ausüben, aber er muss es richtig machen. Abel war zu flüchtig, zu „luftig“. Ein stabiler Schet ist dazu bestimmt, sein Ersatz werden.

(25) sie gebar einen Sohn und nannte ihn Schet  Über Kain sagte die Thora (4: 1) nicht: „Sie gebar einen Sohn und nannte ihn Kain.“Diese Geburt, die bloße Tatsache, zum ersten Mal ein Kind zu gebären, war für Eva selbst ein „Erwerb“ – eine Änderung ihres Status.

Und dann (4: 2) wurde Abel geboren, aber nur als „sein Bruder Abel“ – seine Berufung ist es, als Opposition gegen Kain zu dienen.

Nur Schet wird als Sohn, „ben“, geboren, was eng mit dem Verb „bone“ („liwnot“, „bauen“) verwandt ist, denn der primäre Aufbau der weiteren Zivilisation liegt bei ihm.

(26) Und dem Schet war auch ein Sohn geboren  Der weitere Aufbau der Zivilisation erfolgt durch die Geburt von Söhnen, durch den Generationswechsel.

(26) er nannte ihn Enosch   Der Name bedeutet wörtlich „menschlich“ – genau im Sinne von „menschlich“ anstatt „göttlich“ (aber auch „menschlich“ im Gegensatz zu „tierisch“).

Enosch bedeutet auch „sterblich“. Adam spürte, dass er vor allem die Schöpfung der Hände des Allmächtigen war, während Schet spürte, dass er der Vorläufer der nachfolgenden Menschheit ist und die Stelle von Abel und Kain einnimmt. Gerade durch die Präsenz von Enosh erlangt Schet die Erkenntnis eigener Sterblichkeit, was von nun an einen zentralen Aspekt des menschlichen Selbstbewusstseins hervorhebt.

(26) Zu dieser Zeit fing man an, den Herrn mit seinem Namen anzurufen „zu verkünden“ oder „zu benennen“. Eine Person, die sich sehr bewusst ist, dass sie sterblich und endlich ist, benötigt die Unterstützung von Gott, der unsterblich und unendlich ist. Er beginnt dann, „sich auf den Namen des Herrn zu berufen“ oder anders ausgedrückt „den Namen des Herrn zu beschwören“, wenn er Objekte benennt, die er in der Welt um sich herum sieht. (Er bringt diese Objekte in eine Relation zu Gott).

Obwohl dies auf ein zutiefst religiöses Gefühl hindeutet, markiert es – laut dem Midrasch – auch den Beginn von Praktiken des Götzendienstes innerhalb der Menschheit. Spirituelle Parameter spielen eine zentrale Rolle in Schets Zivilisation – im Gegensatz zur Zivilisation Kains, die sich als durchaus pragmatisch erwies.

5.3         „Dies ist die Aufzeichnung von Adams Linie“ (5: 1-32)

א זֶ֣ה סֵ֔פֶר תּֽוֹלְדֹ֖ת אָדָ֑ם בְּי֗וֹם בְּרֹ֤א אֱלֹהִים֙ אָדָ֔ם בִּדְמ֥וּת אֱלֹהִ֖ים עָשָׂ֥ה אֹתֽוֹ ׃ ב זָכָ֥ר וּנְקֵבָ֖ה בְּרָאָ֑ם וַיְבָ֣רֶךְ אֹתָ֗ם וַיִּקְרָ֤א אֶת־שְׁמָם֙ אָדָ֔ם בְּי֖וֹם הִבָּֽרְאָֽם ׃ גוַיְחִ֣י אָדָ֗ם שְׁלֹשִׁ֤ים וּמְאַת֙ שָׁנָ֔ה וַיּ֥וֹלֶד בִּדְמוּת֖וֹ כְּצַלְמ֑וֹ וַיִּקְרָ֥א אֶת־שְׁמ֖וֹ שֵֽׁת ׃ ד וַיִּֽהְי֣וּ יְמֵֽי־אָדָ֗ם אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־שֵׁ֔ת שְׁמֹנֶ֥ה מֵאֹ֖ת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ ה וַיִּֽהְי֞וּ כָּל־יְמֵ֤י אָדָם֙ אֲשֶׁר־חַ֔י תְּשַׁ֤ע מֵאוֹת֙ שָׁנָ֔ה וּשְׁלֹשִׁ֖ים שָׁנָ֑ה וַיָּמֹֽת ׃ו וַֽיְחִי־שֵׁ֕ת חָמֵ֥שׁ שָׁנִ֖ים וּמְאַ֣ת שָׁנָ֑ה וַיּ֖וֹלֶד אֶת־אֱנֽוֹשׁ ׃ ז וַֽיְחִי־שֵׁ֗ת אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־אֱנ֔וֹשׁ שֶׁ֣בַע שָׁנִ֔ים וּשְׁמֹנֶ֥ה מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ ח וַיִּֽהְיוּ֙ כָּל־יְמֵי־שֵׁ֔ת שְׁתֵּ֤ים עֶשְׂרֵה֙ שָׁנָ֔ה וּתְשַׁ֥ע מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיָּמֹֽת ׃ט וַיְחִ֥י אֱנ֖וֹשׁ תִּשְׁעִ֣ים שָׁנָ֑ה וַיּ֖וֹלֶד אֶת־קֵינָֽן ׃ י וַיְחִ֣י אֱנ֗וֹשׁ אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־קֵינָ֔ן חֲמֵ֤שׁ עֶשְׂרֵה֙ שָׁנָ֔ה וּשְׁמֹנֶ֥ה מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ יא וַיִּֽהְיוּ֙ כָּל־יְמֵ֣י אֱנ֔וֹשׁ חָמֵ֣שׁ שָׁנִ֔ים וּתְשַׁ֥ע מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיָּמֹֽת ׃יב וַיְחִ֥י קֵינָ֖ן שִׁבְעִ֣ים שָׁנָ֑ה וַיּ֖וֹלֶד אֶת־מַֽהֲלַלְאֵֽל ׃ יג וַיְחִ֣י קֵינָ֗ן אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־מַֽהֲלַלְאֵ֔ל אַרְבָּעִ֣ים שָׁנָ֔ה וּשְׁמֹנֶ֥ה מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ יד וַיִּֽהְיוּ֙ כָּל־יְמֵ֣י קֵינָ֔ן עֶ֣שֶׂר שָׁנִ֔ים וּתְשַׁ֥ע מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיָּמֹֽת ׃טו וַיְחִ֣י מַֽהֲלַלְאֵ֔ל חָמֵ֥שׁ שָׁנִ֖ים וְשִׁשִּׁ֣ים שָׁנָ֑ה וַיּ֖וֹלֶד אֶת־יָֽרֶד ׃ טז וַיְחִ֣י מַֽהֲלַלְאֵ֗ל אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־יֶ֔רֶד שְׁלֹשִׁ֣ים שָׁנָ֔ה וּשְׁמֹנֶ֥ה מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ יז וַיִּֽהְיוּ֙ כָּל־יְמֵ֣י מַֽהֲלַלְאֵ֔ל חָמֵ֤שׁ וְתִשְׁעִים֙ שָׁנָ֔ה וּשְׁמֹנֶ֥ה מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיָּמֹֽת ׃יח וַֽיְחִי־יֶ֕רֶד שְׁתַּ֧יִם וְשִׁשִּׁ֛ים שָׁנָ֖ה וּמְאַ֣ת שָׁנָ֑ה וַיּ֖וֹלֶד אֶת־חֲנֽוֹךְ ׃ יט וַֽיְחִי־יֶ֗רֶד אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־חֲנ֔וֹךְ שְׁמֹנֶ֥ה מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ כ וַיִּֽהְיוּ֙ כָּל־יְמֵי־יֶ֔רֶד שְׁתַּ֤יִם וְשִׁשִּׁים֙ שָׁנָ֔ה וּתְשַׁ֥ע מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיָּמֹֽת ׃כא וַיְחִ֣י חֲנ֔וֹךְ חָמֵ֥שׁ וְשִׁשִּׁ֖ים שָׁנָ֑ה וַיּ֖וֹלֶד אֶת־מְתוּשָֽׁלַח ׃ כבוַיִּתְהַלֵּ֨ךְ חֲנ֜וֹךְ אֶת־הָֽאֱלֹהִ֗ים אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־מְתוּשֶׁ֔לַח שְׁלֹ֥שׁ מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ כג וַיְהִ֖י כָּל־יְמֵ֣י חֲנ֑וֹךְ חָמֵ֤שׁ וְשִׁשִּׁים֙ שָׁנָ֔ה וּשְׁלֹ֥שׁ מֵא֖וֹת שָׁנָֽה ׃ כד וַיִּתְהַלֵּ֥ךְ חֲנ֖וֹךְ אֶת־הָֽאֱלֹהִ֑ים וְאֵינֶ֕נּוּ כִּֽי־לָקַ֥ח אֹת֖וֹ אֱלֹהִֽים ׃כה וַיְחִ֣י מְתוּשֶׁ֔לַח שֶׁ֧בַע וּשְׁמֹנִ֛ים שָׁנָ֖ה וּמְאַ֣ת שָׁנָ֑ה וַיּ֖וֹלֶד אֶת־לָֽמֶךְ ׃ כו וַיְחִ֣י מְתוּשֶׁ֗לַח אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־לֶ֔מֶךְ שְׁתַּ֤יִם וּשְׁמוֹנִים֙ שָׁנָ֔ה וּשְׁבַ֥ע מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ כז וַיִּֽהְיוּ֙ כָּל־יְמֵ֣י מְתוּשֶׁ֔לַח תֵּ֤שַׁע וְשִׁשִּׁים֙ שָׁנָ֔ה וּתְשַׁ֥ע מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיָּמֹֽת ׃כח וַֽיְחִי־לֶ֕מֶךְ שְׁתַּ֧יִם וּשְׁמֹנִ֛ים שָׁנָ֖ה וּמְאַ֣ת שָׁנָ֑ה וַיּ֖וֹלֶד בֵּֽן ׃ כט וַיִּקְרָ֧א אֶת־שְׁמ֛וֹ נֹ֖חַ לֵאמֹ֑ר זֶ֠֞ה יְנַֽחֲמֵ֤נוּ מִֽמַּעֲשֵׂ֨נוּ֙ וּמֵֽעִצְּב֣וֹן יָדֵ֔ינוּ מִן־הָ֣אֲדָמָ֔ה אֲשֶׁ֥ר אֵֽרְרָ֖הּ יֽי ׃ ל וַֽיְחִי־לֶ֗מֶךְ אַֽחֲרֵי֙ הֽוֹלִיד֣וֹ אֶת־נֹ֔חַ חָמֵ֤שׁ וְתִשְׁעִים֙ שָׁנָ֔ה וַֽחֲמֵ֥שׁ מֵאֹ֖ת שָׁנָ֑ה וַיּ֥וֹלֶד בָּנִ֖ים וּבָנֽוֹת ׃ לא וַֽיְהִי֙ כָּל־יְמֵי־לֶ֔מֶךְ שֶׁ֤בַע וְשִׁבְעִים֙ שָׁנָ֔ה וּשְׁבַ֥ע מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיָּמֹֽת ׃לב וַֽיְהִי־נֹ֕חַ בֶּן־חֲמֵ֥שׁ מֵא֖וֹת שָׁנָ֑ה וַיּ֣וֹלֶד נֹ֔חַ אֶת־שֵׁ֖ם אֶת־חָ֥ם וְאֶת־יָֽפֶת׃

(1) Dies sind die Schilderungen der Linie Adams. Als G´tt Adam schuf, schuf er ihn im Abbild G´ttes.

(2) Männlich und weiblich hat er sie erschaffen, und als sie erschaffen wurden, segnete er sie und nannte sie Mensch.

(3) Adam lebte 130 Jahre, da zeugte er einen Sohn nach seinem Abbild in seiner Gestalt und nannte ihn Schet.

(4) Nachdem er Schet gezeugt hatte, lebte er 800 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(5) Als alle Tage Adams, die er lebte, 930 Jahre waren, starb er.

(6) Schet lebte 105 Jahre, dann zeugte er Enosch.

(7) Nachdem er Enosch gezeugt hatte, lebte Schet noch 807 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(8) Als alle Tage Schets 912 Jahre waren, starb er.

(9) Enosch lebte 90 Jahre, dann zeugte er Kenan.

(10) Nachdem er Kenan gezeugt hatte, lebte Enosch noch 815 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(11) Als alle Tage Enoschs 905 Jahre waren, starb er.

(12) Kenan lebte 70 Jahre, dann zeugte er Mahalallel.

(13) Nachdem er Mahalallel gezeugt hatte, lebte Kenan noch 840 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(14) Als alle Tage Kenans 910 Jahre waren, starb er.

(15) Mahalallel  lebte 65 Jahre, dann zeugte er Jered.

(16) Nachdem er Jered gezeugt hatte, lebte Mahalallel noch 830 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(17) Als alle Tage Mahalallels 895 Jahre waren, starb er.

(18) Jered lebte 162 Jahre, dann zeugte er Chanoch.

(19) Nachdem Jered Chanoch gezeugt hatte, lebte Jered noch 800 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(20) Als alle Tage Jereds 962 Jahre waren, starb er.

(21) Chanoch lebte 65 Jahre, dann zeugte er Methuschelach.

(22) Nachdem er Methuschelach gezeugt hatte, wandelte Chanoch mit Gott 300 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(23) Alle Tage Chanochs waren 365 Jahre.

(24) Chanoch wandelte mit Gott und war nicht mehr da, denn Gott hatte ihn fortgenommen.

(25) Methuschelach lebte 187 Jahre, dann zeugte er Lemech.

(26) Nachdem er Lemech gezeugt hatte, lebte Methuschelach noch 782 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(27) Als alle Tage Methuschelachs 960 Jahre waren, starb er.

(28) Lemech lebte 182 Jahre, dann zeugte er einen Sohn.

(29) Er nannte ihn Noach, um damit zu sagen: Dieses nur kann uns trösten von unserem Schaffen und von der Entsagung unserer Hände, von dem Boden, den Gott mit Fluch getroffen.

(30) Nachdem er Noach gezeugt, lebte Lemech noch 595 Jahre und zeugte Söhne und Töchter.

(31) Als alle Tage Lemechs 777 Jahre waren, starb er.

(32) Noach war bereits 500 Jahre alt, da zeugte Noach Schem, Cham und Japhet.

(1) Dieses Buch sind Entwicklungen Adams  Wörtlich „Dies ist das Buch der Generationen Adams“. Hier wird eine offensichtliche Parallele zum Vers „So ist die Geschichte (wörtlich „Generationen“) der Erschaffung von Himmel und Erde“ (2,4) deutlich, der die Geschichte der Entstehung der Welt unmittelbar nach der Schöpfung einführte. Auf die selbe Art und Weise beginnt hier eine neue Charakterisierung der Menschheitsgeschichte.

(1) Entwicklungen  Das hebräische Wort „Toldot“ („Generationen“ oder „Nachkommen“) steht für eines der wichtigsten Konzepte in der Tora. Es kann sich entweder auf die Herkunft (seine Vorfahren) oder auf seine Nachkommen beziehen – auf seine Kinder ebenso wie auf seine Leistungen. Das Konzept der „Toldot“ positioniert den Menschen als Glied in der Kette der Generationen und verleiht ihm Pflicht, nicht nur für sich selbst, sondern für die gesamte Kette verantwortlich zu sein – also sowohl für das ihm Übergebene als auch für all das, was er geschaffen hat (oder schaffen wird).

(1) Dies sind die Schilderungen der Linie Adams  Verglichen mit der Welt der Natur, wo Fortpflanzung zur Reproduktion der Spezies im Mittelpunkt steht, ist bei der Menschheit die Reflexion gleichermaßen wichtig: Das Ergründen der individuellen Bestimmung, des eigenen Lebensweges und die Bewertung von persönlichem Fortschritt durch den Vergleich von Vergangenheit mit Gegenwart. Daher steht für jeden Einzelnen nicht nur das bloße Zeugen seiner Nachkommen an erster Stelle, sondern vielmehr der spezifische Lebensweg jener Linie.

Beim Aufwerfen der Frage „Welches ist der wichtigste Vers in der Tora?“ schlägt der Talmud zwei Kandidaten vor: „Liebt euren Nächsten wie euch selbst: Ich bin der Herr.“ (3. Mose 19:18) und unseren Vers hier: „Dies sind die Schilderungen der Linie Adams …“. Die Entwicklung der Zivilisation als Folge des Generationenwechsels ist ein wesentliches Element der göttlichen Lehre der Thora, denn nur durch diesen Prozess kann ein Mensch spirituell vorankommen und sich Gott nähern.

(2) „Männlich und weiblich hat er sie erschaffen, und als sie erschaffen wurden, segnete er sie und nannte sie Mensch.”  „Er nannte sie“; das heißt beide gemeinsam und nicht jeden einzeln. Nur durch ihre Vereinigung werden Mann und Frau Mensch.

(1) „Dies sind die Schilderungen der Linie Adams. Als Gott Adam schuf, schuf er ihn im Abbild Gottes.“

(3) „Adam lebte 130 Jahre, da zeugte er einen Sohn nach seinem Abbild in seiner Gestalt und nannte ihn Schet.“

Der Ausgangspunkt für Schets Zivilisation (im Gegensatz zu den Nachkommen von Kains Zivilisation) ist das Konzept des Menschen im Abbild Gottes, das an nachfolgende Generationen weitergegeben werden soll – die Wahrnehmung der Welt als „Chronik der Geburt des Menschen, der im Abbild Gottes erschaffen wurde“.

(9) Enosch lebte 90 Jahre, dann zeugte er Kenan  Der Name „Kenan“ ist „Kain“ sehr ähnlich (im Hebräischen muss nur der letzte Buchstabe von „Kain“ wiederholt werden, um „Kenan“ zu bilden). Kenan trägt nämlich einige von Kains Merkmalen. Hier findet eine Konvergenz statt: Kains Zivilisation nimmt einige von Abels Merkmalen auf und Schets Zivilisation wiederum positive Elemente der Kultur Kains.

(24) Chanoch ging mit Gott und da war er nicht mehr, denn Gott hatte ihn fortgenommen       Der essenziellste Wert von Schets Zivilisation ist die Kommunikation mit Gott.

(28)Lemech lebte 182 Jahre, dann zeugte er einen Sohn.

(29) Er nannte ihn Noach, um damit zu sagen: Dieses nur kann uns trösten von unserem Schaffen und von der Entsagung unserer Hände, von dem Boden, den Gott mit Fluch getroffen.

Dieser Vers deutet durch das Wort „nachmanu“ klar auf eine Verbindung mit dem Namen Noach und die Idee des Trostes (hebräische Wurzel – „nachem“). Dieses Konzept ist entscheidend für das Verständnis der gesamten Geschichte der Sintflut, die nun sehr bald beginnt. Die Verbindung zwischen Noach und „nachem“ ist jedoch unvollständig (nur die ersten beiden der drei Buchstaben der Wurzel „nachem“ erscheinen in „Noach“). Hätte Lemech diese Verbindung betonen wollen, hätte er seinen Sohn wahrscheinlich „Nechama“ (Trost) oder „Menachem“ (Tröster) genannt. Dennoch trägt der Name „Noach“ die zusätzliche Bedeutung von „Leichtigkeit“ oder „Einfachheit“. Diese Idee ist entscheidend, um die Geschichte der Sintflut zu verstehen und „Erleichterung von der Arbeit unserer Hände auf dem Boden zu schaffen, den der Herr verflucht hat“. Wir werden dies weiter unten genauer diskutieren.

5.4         Die Krise der Menschheit bis zur Sintflut (6: 1-8)

א וַֽיְהִי֙ כִּֽי־הֵחֵ֣ל הָֽאָדָ֔ם לָרֹ֖ב עַל־פְּנֵ֣י הָֽאֲדָמָ֑ה וּבָנ֖וֹת יֻלְּד֥וּ לָהֶֽם ׃ ב וַיִּרְא֤וּ בְנֵי־הָֽאֱלֹהִים֙ אֶת־בְּנ֣וֹת הָֽאָדָ֔ם כִּ֥י טֹבֹ֖ת הֵ֑נָּה וַיִּקְח֤וּ לָהֶם֙ נָשִׁ֔ים מִכֹּ֖ל אֲשֶׁ֥ר בָּחָֽרוּ ׃ ג וַיֹּ֣אמֶר י֗י לֹֽא־יָד֨וֹן רוּחִ֤י בָֽאָדָם֙ לְעֹלָ֔ם בְּשַׁגַּ֖ם ה֣וּא בָשָׂ֑ר וְהָי֣וּ יָמָ֔יו מֵאָ֥ה וְעֶשְׂרִ֖ים שָׁנָֽה ׃ ד הַנְּפִלִ֞ים הָי֣וּ בָאָרֶץ֮ בַּיָּמִ֣ים הָהֵם֒ וְגַ֣ם אַֽחֲרֵי־כֵ֗ן אֲשֶׁ֨ר יָבֹ֜אוּ בְּנֵ֤י הָֽאֱלֹהִים֙ אֶל־בְּנ֣וֹת הָֽאָדָ֔ם וְיָֽלְד֖וּ לָהֶ֑ם הֵ֧מָּה הַגִּבֹּרִ֛ים אֲשֶׁ֥ר מֵֽעוֹלָ֖ם אַנְשֵׁ֥י הַשֵּֽׁם ׃ה וַיַּ֣רְא י֔י כִּ֥י רַבָּ֛ה רָעַ֥ת הָֽאָדָ֖ם בָּאָ֑רֶץ וְכָל־יֵ֨צֶר֙ מַחְשְׁבֹ֣ת לִבּ֔וֹ רַ֥ק רַ֖ע כָּל־הַיּֽוֹם ׃ ו וַיִּנָּ֣חֶם י֔י כִּֽי־עָשָׂ֥ה אֶת־הָֽאָדָ֖ם בָּאָ֑רֶץ וַיִּתְעַצֵּ֖ב אֶל־לִבּֽוֹ ׃ ז וַיֹּ֣אמֶר י֗י אֶמְחֶ֨ה אֶת־הָֽאָדָ֤ם אֲשֶׁר־בָּרָ֨אתִי֙ מֵעַל֙ פְּנֵ֣י הָֽאֲדָמָ֔ה מֵֽאָדָם֙ עַד־בְּהֵמָ֔ה עַד־רֶ֖מֶשׂ וְעַד־ע֣וֹף הַשָּׁמָ֑יִם כִּ֥י נִחַ֖מְתִּי כִּ֥י עֲשִׂיתִֽם ׃ ח וְנֹ֕חַ מָ֥צָא חֵ֖ן בְּעֵינֵ֥י יֽי ׃

(1) Es war, da die Menschen sich auf dem Erdboden zu vermehren begannen und ihnen Töchter geboren waren,

(2) da sahen die Söhne des göttlichen Geschlechtes die Töchter des Menschen, dass sie schön waren, und nahmen sich Frauen, woher es ihnen gefiel.

(3) Da sprach der Herr: “ Mein Geist soll nicht auf unbegrenzte Zeit im Menschen weilen, da dieser ja auch Fleisch ist; so sollen die Tage, die ihm gewährt sind, 120 Jahre sein.”

(4) Die Riesen waren in jenen Tagen auf der Erde und auch noch dann, als schon die Söhne des göttlichen Geschlechtes zu den Töchtern des Menschen kamen und diese von ihnen gebaren. Sie waren die Helden vergangener Zeiten, Männer der Ehre.

(5) Und der sah, dass das Unheil des Menschen groß auf Erden war und jedes Vorhaben, das aus seinem Verstand erwuchs, nichts als Boshaftigkeit zutage brachte.

(6) da bereute der Herr, dass er den Menschen auf Erden geschaffen, und sein Herz war betrübt.

(7) Da sprach der Herr: “Ich will den Menschen, den ich geschaffen vom Erdboden tilgen –  von Mensch bis zum Vieh, vom Gewürm bis zum Vogel des Himmels; denn ich bereue sie geschaffen zu haben.”

(8) Noach aber erlangte Wohlwollen in den Augen des Herrn. 

(1) Es war, da die Menschen sich auf dem Erdboden zu vermehren begannen  Als Folge seiner zahlenmäßigen Zunahme entfernt sich die Menschheit von Familienstruktur und beginnt, sich in größeren Gesellschaftsformen zu organisieren.

(1) und ihnen Töchter geboren waren  Es ist offensichtlich, dass die ganze Zeit über Töchter geboren wurden. Gemeint ist, dass einige dieser Töchter nun einen neuen, besonderen sozialen Status erlangten, der soziale Konflikte um sie herum entfachte.

(2) da sahen die Söhne des göttlichen Geschlechtes die Töchter des Menschen, dass sie schön waren, und nahmen sich Frauen, woher es ihnen gefiel  Dieser Vers spricht von der moralischen Krise, die zur Sintflut führte, aber seine genaue Auslegung ist unklar, jedoch gibt es mehrere Möglichkeiten, diesen zu verstehen.

Im ursprünglichen hebräischen Text ist „göttliche Wesen“„bnej ha-elohim“, „Söhne von Elohim“. Da sich das Wort „elohim“ jedoch entweder auf Gott oder auf Menschen mit erhöhtem sozialem Status beziehen kann (wie beispielsweise Herrscher oder Richter, siehe Exodus 4:16, 7: 1, 21: 6). Doch wer waren diese „Söhne von Elohim“? Und wessen Söhne waren sie?

Folgende Interpretationen des Begriffs „Söhne von Elohim“ wurden vorgeschlagen:

  1. Die „bnej ha-elohim“ sind die „Söhne angesehener, edler Menschen“, und die „bnot ha-adam“, die „Töchter von Männern“, die sie heirateten, sind Mädchen aus dem einfachen Volk. Das Verbrechen der Söhne des Adels war, dass sie sich Frauen nahmen „woher es ihnen gefiel“, d.h. gewaltsam, ohne die Zustimmung der Mädchen selbst einzuholen.
  2. Diese „bnej ha-elohim“, „die Söhne Gottes“, waren die Nachkommen von Schet. Sie werden „die Söhne Gottes“ genannt, weil das Verständnis des Göttlichen unter den Menschen bei Schets Nachkommen bewahrt wurde. In diesem Fall sind die „bnot ha-adam“, „Menschentöchter“, Töchter der Nachkommen Kains, und das Vergehen der Söhne Schets besteht darin, von der körperlichen Schönheit der Mädchen so angezogen zu werden („…Töchter des Menschen, dass sie schön waren”), dass sie ihren Kindern erlaubten, mit Kains Nachkommen zu heiraten. Das Ergebnis war, dass die aus besagten Familien geborenen Kinder Kains Kultur annahmen und ihre Erziehung auf Basis amoralischer menschlicher Verhaltensmuster erfolgte. Es blieb also keine Hoffnung mehr auf die Errettung der Menschheit.
  3. Der Midrasch schlägt eine dritte Interpretation vor. Die „Söhne von Elohim“ sind Engel, die als Abgesandte des Allmächtigen auf die Erde herabgestiegen sind. Aber anstatt die Aufgabe zu erfüllen, die Gott ihnen übertragen hatte, heirateten diese Engel menschliche Frauen. (Hierbei ist wichtig zu verstehen, dass solche Midraschim nicht wörtlich genommen werden dürfen.)

(3) Da sprach der Herr: “Mein Geist soll nicht auf unbegrenzte Zeit im Menschen weilen, da dieser ja auch Fleisch ist; so sollen die Tage, die ihm gewährt sind, 120 Jahre sein.

Diese Worte können auf zwei Arten verstanden werden:

  1. Gott setzt der menschlichen Lebenserwartung eine Grenze. Fortan kann kein Mensch länger als 120 Jahre leben
  2. Gott legt ein Intervall von 120 Jahren fest, in dem die Menschheit besinnen und korrigieren kann. Wenn sie diese Chance verpassen, werden sie von der Sintflut getilgt.

(4) „Die Riesen waren in jenen Tagen auf der Erde und auch noch dann, als schon die Söhne des göttlichen Geschlechtes zu den Töchtern des Menschen kamen und diese von ihnen gebaren. Sie waren die Helden vergangener Zeiten, Männer der Ehre.

Nachdem Gott der Menschheit eine Grenze von 120 Jahren gesetzt hatte, erzählt uns die Thora weiter von der Geburt dieser „Riesen“, aber aus dem Text geht nicht hervor, ob dies ein positiver oder ein negativer Umstand war.

Grammatisch kann das Wort „Riesen“ („haNefilim“) auf zwei Arten verstanden werden:

  1. Als „Riesen“ oder „Giganten“, bezogen auf Schem, Cham und Jafet, die Söhne Noachs. (Da ihre Mutter Naama von Kains Nachkommen abstammte, war diese Ehe auch eine Situation von „den göttlichen Wesen, die mit Menschentöchtern zusammenlebten“). Bis Noachs drei Söhne erwachsen und unabhängig wurden, konnte die Sintflut nicht stattfinden. Fände sie in dieser Zeit doch statt, gäbe es niemanden, durch den man die Menschheit neu erschaffen könnte. Gott hat daher 120 Jahre für ihre Geburt und ihr Heranwachsen vorgesehen.
  1. Als „Gefallene“ – die selbst gefallen sind und dadurch den Untergang der Welt mitverursacht haben, da die Welt zerfällt, wenn hochrangige Beamte ihre Pflichten vernachlässigen und die einfachen Leute unterdrücken.

(5) Und der Herr sah, dass das Unheil des Menschen groß auf Erden war und jedes Vorhaben, das aus seinem Verstand erwuchs, nichts als Boshaftigkeit zutage brachte.

(6) da bereute der Herr, dass er den Menschen auf Erden geschaffen, und sein Herz war betrübt.

(7) Da sprach der Herr: “Ich will den Menschen, den ich geschaffen vom Erdboden tilgen –  von Mensch bis zum Vieh, vom Gewürm bis zum Vogel des Himmels; denn ich bereue sie geschaffen zu haben.

Gott hat nun entgültig seine Entscheidung bezüglich der Sintflut getroffen.

Das Wort „nachem“, „bedauern“, das in dieser Passage zweimal verwendet wird, ist das gleiche Wort wie „nachem“, „trösten“, das Lemech oben (5:29) bei der Benennung seines Sohnes Noach verwendete. Dieses Konzept wird etwas später nochmals erläutert.

(8) Noach aber erlangte Wohlwollen in den Augen Gottes  „Noach erlangte Wohlwollen“ bedeutet, dass sein Willen und sein Handeln allein nicht ausgereicht hätte, um ihn vor der Sintflut zu verschonen.

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